Ökumenischer Rat der Kirchen
ZENTRALAUSSCHUSS
Potsdam, Deutschland
29. Januar - 6. Februar 2001
Dokument Nr. PI 6.2


Zur Beschlussfassung

DRITTER BERICHT DES AUSSCHUSSES FÜR ÖFFENTLICHE ANGELEGENHEITEN

Der Ausschuss für öffentliche Angelegenheiten dankt den Mitgliedern des Zentralausschusses für ihre Vorschläge und Ratschläge sowie die Zusammenarbeit bei der Ausarbeitung der nachstehenden Beschlüsse zu öffentlichen Angelegenheiten, die wir hiermit zur Beschlussfassung vorlegen. Um den Zentralausschussmitgliedern während dieser letzten Plenarsitzung zu öffentlichen Angelegenheiten ihre Aufgabe zu erleichtern, haben wir das Dokument PI 6.1 zur Prüfung und Stellungnahme verteilt. Wir haben alle eingegangenen Antworten in Betracht gezogen und einige von ihnen bei der Neuformulierung unserer Vorschläge berücksichtigt.

Zur Information des Zentralausschusses weisen wir darauf hin,

  • dass eine "Erklärung" ausführliche Informationen über eine Situation enthält, zu der die ÖRK-Leitungsgremien in jüngerer Zeit nicht öffentlich Stellung genommen haben, und dass sie eine neue Politik festlegt;
  • dass sich ein "Protokollpunkt" auf eine festgelegte Politik stützt und dem ÖRK sowie den Mitgliedskirchen Orientierungshilfe für die Umsetzung in einer bestimmten Situation gibt.

    VOM EXEKUTIVAUSSCHUSS EMPFOHLENE BESCHLUSSFASSUNGEN ZU FRAGEN VON ÖFFENTLICHEM INTERESSE

    I. Erklärung zur Lage im Sudan

    1. Hintergrund. Der Konflikt im Sudan steht seit mehr als drei Jahrzehnten auf der ökumenischen Tagesordnung. Die Wurzeln des Konfliktes liegen in der Geschichte der Sklaverei und des Kolonialismus und reichen bis in das Jahr 1956 zurück, als das Land die Unabhängigkeit von Großbritannien erlangte. Heute ist die Situation jedoch im Vergleich zu der Zeit, in der der nunmehr fast dreißig Jahre währende Konflikt begann, sehr viel komplizierter geworden. Der Konflikt hat folgende Hauptursachen:

  • die Politik des "Teile und herrsche", die von den Kolonialherren betrieben und in dem "Closed District Act" (Gesetz über die geschlossenen Bezirke) von 1935 formuliert worden ist; dieses Gesetz schränkt die Freizügigkeit zwischen der Nord- und der Südprovinz des Sudan ein;
  • eine ungleiche Entwicklungspolitik im Norden und Süden hat zu dem derzeitigen Gefälle geführt;
  • religiöse Rivalitäten, kulturelle Hegemonie, Stammesdenken und Rassismus;
  • das Unvermögen der Regierung des Sudan, den Geist des Friedensvertrages von Addis Abeba, der im Jahre 1972 unterzeichnet worden war, umzusetzen; so entwickelte sich die heutige Atmosphäre des absoluten Misstrauens der Südprovinzen gegenüber der Regierung im Norden;
  • der Widerstand der Regierung des Sudan, der "Declaration of Principles" (DOP - Grundsatzerklärung) Folge zu leisten, der die Parteien im Rahmen der Vermittlungsbemühungen der IGAD (Ostafrikanische Zwischenstaatliche Entwicklungsbehörde) zugestimmt hatten;
  • die Weigerung der Regierung des Sudan, die Trennung von Staat und Religion in der Verfassung anzuerkennen.

    2. Seit 1971 hat sich der ÖRK zusammen mit der AACC tatkräftig an den Bemühungen um Vermittlung zwischen der Südsudanesischen Befreiungsbewegung und der sudanesischen Regierung beteiligt, die schließlich im Jahre 1972 zu dem Friedensvertrag von Addis Abeba geführt hatten. Die durch dieses Abkommen erreichte Einstellung der Feindseligkeiten und eine grundlegende Reform der Regierung eines vereinten Sudan fanden jedoch ein rasches Ende. Ein neuer Bürgerkrieg brach aus.

    3. Angesichts der erneut verstärkt aufgeflammten Kämpfe gab der Zentralausschuss des ÖRK im August 1992 ein Protokoll zum Sudan heraus, in dem er seine Besorgnis über die Situation im Süd-, Ost- und Westsudan zum Ausdruck brachte, welche die Vertreibung von Tausenden von Zivilisten, insbesondere von Kindern, zur Folge hatte. Er appellierte an die Vereinten Nationen, sich um einen Waffenstillstand im Südsudan und um eine Truppenentflechtung sowie um die Wiederaufnahme der zum Stillstand gekommenen Verhandlungen in Abuja zu bemühen. Der Zentralausschuss bekräftigte erneut, dass der ÖRK den Kontakt zu den Konfliktparteien aufrechterhalten und Bemühungen um einen gerechten und dauerhaften Frieden fördern müsse.

    4. Im September 1997 gab der Zentralausschuss erneut eine Erklärung zum Sudan heraus, in der er die von den kirchlichen Amtsträgern im Nord- und Südsudan in ihrem Dokument mit dem Titel "Here We Stand United in Action for Peace" (Vereint auf dem Weg zum Frieden) gemeinsam vertretene Position begrüßte. In diesem Dokument wurde zur Beendigung des Krieges und zu Friedensgespräche zwischen den bewaffneten Parteien im Süden sowie zwischen ihnen und der sudanesischen Regierung aufgerufen. Ferner rief der Zentralausschuss alle Parteien, ihre Anhänger im Ausland und alle jene, die zu einem Frieden auf dem Verhandlungsweg beitragen wollten, dringend auf, die Wiederaufnahme des IGAD-Friedensprozesses zu unterstützen, daran mitzuarbeiten und ihre Initiativen an den der IGAD-Prinzipien auszurichten.

    5. Die sudanesischen Kirchen selbst haben unablässig und auf allen Ebenen ihre Bemühungen um Frieden fortgesetzt. Eine wichtige neue Initiative in dieser Richtung hat der Neue Sudanesische Rat der Kirchen unternommen und eine Reihe von Friedenskonferenzen mit den verschiedenen Volksgruppen im Südsudan veranstaltet. Das hat in einigen Fällen Konflikte zwischen ethnischen Gruppen und Gemeinschaften beigelegt und für einige der am meisten von den Feindseligkeiten betroffenen Gebiete Hoffnung und Stabilität gebracht. Der Sudanesische Rat der Kirchen in Khartum hat ebenfalls ein Programm der Anwaltschaft und Friedensarbeit an der Basis ins Leben gerufen, das sich vor allem an Frauen und junge Menschen wendet.

    6. Auf regionaler Ebene lässt der IGAD-Friedensprozess - der vielversprechend und voller Hoffnung mit der Grundsatzerklärung der Konfliktparteien begonnen worden war - trotz der engagierten Bemühungen des IGAD-Sekretariats und der nördlichen Mitgliedstaaten des IGAD-Partnerforums, die Verhandlungen nicht abreißen zu lassen, Zeichen der Stagnation erkennen. Die Bemühungen reichen nicht aus, um das Haupthindernis auf dem Verhandlungsweg zu beseitigen, nämlich den Widerstand der sudanesischen Regierung, die Grundsätze der Trennung von Staat und Religion und die umfassende Umsetzung der Grundsatzerklärung der IGAD zu akzeptieren. Und so sorgt die Ungeduld über die schleppenden Fortschritte bei den Verhandlungen für immer lautere Forderungen der Menschen und Kirchen im Süden nach Selbstbestimmung und Unabhängigkeit vom Norden.

    7. Die derzeitige Situation. Ende der 90er Jahre haben von der Regierung veranlaßte Ölbohrungen in Zusammenarbeit mit westlichen Erdölgesellschaften im Südsudan eine Förderung von 150 000 Barrel pro Tag am Oberen Nil erbracht. Die Ölförderung hat zur Eskalation des Konfliktes beigetragen und die Sudanesische Regierung in ihrer Entschlossenheit zu einer militärischen Lösung bestärkt. Die Kirchen im Sudan haben zusammen mit ökumenischen Partnern im Ausland eine gerechte Verteilung der Erdölressourcen eingefordert und verlangt, dass die Erdöleinnahmen für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen und nicht zur Unterstützung der kriegerischen Aktionen mit immer raffinierteren Waffen verwendet werden.

    8. Seit Beginn des Krieges im Südsudan hat die sudanesische Regierung bei ihren kriegerischen Aktionen die Luftwaffe eingesetzt. In letzter Zeit waren auch Zivilisten Ziel der Luftangriffe, die wegen der großen Abwurfhöhe viele Todesopfer gefordert haben. Dicht besiedelte Gebiete wie Kotibe und Lui sind wiederholt bombardiert worden; es waren viele Todesopfer und Sachschäden zu beklagen. Gegen einen der Bombenangriffe auf die Heimatstadt von Bischof Paride, kurz nach seiner Rede vor der Achten Vollversammlung in Harare, haben die Amtsträger des ÖRK bei der sudanesischen Regierung über ihre Botschaft in Simbabwe sofort energisch protestiert.

    9. Die anhaltenden Bombardements haben die Leiden der Menschen, die seit langem von diesem offenbar endlosen Konflikt betroffen sind, noch vergrößert. Von den Bombereinsätzen wurden auch NROs nicht verschont, die an humanitären Hilfseinsätzen beteiligt waren; einige ihrer Flugzeuge wurden zerstört. Eben diese Luftangriffe haben schließlich die Weltöffentlichkeit aufhorchen lassen. Sie wurden daraufhin Mitte des vergangenen Jahres, nachdem UNO-Generalsekretär Kofi Annan interveniert hatte, eine Zeit lang eingestellt, später jedoch mit größerer Intensität wieder aufgenommen. Am 29. Oktober 2000 bombardierte die sudanesische Luftwaffe die Kathedrale der Bischöflichen Kirche in Lui in der Äquatorprovinz und zerstörte sie vollständig. Die Bombenattacken halten mit unverminderter Härte an und fordern weiterhin eine große Zahl von Todesopfern.

    10. Der Zentralausschuss des Ökumenischen Rates der Kirchen, der vom 29. Januar bis 6. Februar 2001 in Berlin tagt, ist sich des unerträglichen Leids der sudanesischen Bevölkerung, insbesondere im Süden des Landes, das aus mehr als dreißig Jahren Bürgerkrieg resultiert, zutiefst bewusst und:

    10.1 ruft die Regierung des Sudan auf, die Bombardierung ziviler Ziele im südlichen Sudan, in den Nuba-Bergen, dem südlichen Blauen Nil sowie in anderen Randgebieten unverzüglich einzustellen und dem Völkerrecht Folge zu leisten;
    10.2 fordert die Einrichtung einer Flugverbotszone in diesen Gebieten, mit Ausnahme von geschützten Luftbrücken für humanitäre Hilfsgüter;
    10.3 fordert die Regierung des Sudan, die SPLA und andere Kriegsparteien nachdrücklich auf, der Genfer Konvention Folge zu leisten und deutlich zu erklären, dass ihre Streitkräfte und/oder die von ihr unterstützten Milizen zur Erreichung ihrer Kriegsziele keine zivilen und dicht bevölkerten Gebiete, sondern nur ausgemachte militärische Ziele angreifen werden; und unabhängige Beobachter zuzulassen;
    10.4 erinnert die Regierung des Sudan an ihre Verantwortung, die Sicherheit all ihrer Bürger und Bürgerinnen sowohl im Norden als auch im Süden des Landes zu gewährleisten;
    10.5 stellt mit Sorge fest, dass die Erdöleinnahmen der sudanesischen Regierung zur Finanzierung des Krieges abgezweigt werden und damit zur Eskalation der Kampfhandlungen im südlichen Sudan beitragen, anstatt für die dringenden Bedürfnisse der von den Feindseligkeiten betroffenen Bevölkerung eingesetzt zu werden;
    10.6 ersucht die Mitgliedskirchen darum, bei ihrer jeweiligen Regierung und den Erdölgesellschaften in ihrem Land vorstellig zu werden und für die Einstellung der weiteren Entwicklung der Erdölförderung im südlichen Sudan einzutreten, bis ein Friedensabkommen zwischen beiden Konfliktparteien erreicht ist;
    10.7 bekräftigt seine Überzeugung, dass ein dauerhafter Frieden im Sudan nur mit Hilfe von Partnerstaaten in der Region im Rahmen des IGAD-Friedensprozesses und der daraus hervorgegangenen Grundsatzerklärung ausgehandelt werden kann;
    10.8 versichert die Kirchen des Sudan der fortgesetzten Unterstützung und Gebete des Ökumenischen Rates der Kirchen in ihren Friedensbemühungen;
    10.9 appelliert an die ÖRK-Mitgliedskirchen, ihre Bemühungen um Förderung und Unterstützung der gemeinsamen Friedensinitiative des Sudanesischen Rates der Kirchen und des Neuen Sudanesischen Rates der Kirchen zu intensivieren; und
    10.10 ruft Kirchen und kirchliche Einrichtungen nachdrücklich auf, auch in Zukunft dringend erforderliche humanitäre Hilfe für den Sudan bereitzustellen und damit den Flüchtlingen und Vertriebenen zu helfen, denen, die sich in verzweifelter Armut befinden, und den Opfern des Krieges, insbesondere denen, die durch Krieg, Minen und Bomben verstümmelt worden sind.

    EMPFEHLUNG: Der Ausschuss für öffentliche Angelegenheiten empiehlt diese Erklärung zur Annahme.

    II. Protokollpunkt zur Situation im Heiligen Land nach dem Ausbruch des zweiten palästinensischen Aufstands

    Alle dreizehn östlich- und orientalisch-orthodoxen, katholischen und protestantischen Kirchen in Jerusalem haben in einem Aufruf vom 9. November 2000 wie folgt ihre Überzeugung zum Ausdruck gebracht:

    Die Kirche ist der Überzeugung, dass die Bürger eines besetzten Landes das Recht und die Pflicht haben, sich gegen Ungerechtigkeit zur Wehr zu setzen, um Freiheit zu erlangen, während sie gleichzeitig überzeugt ist, dass gewaltlose Mittel des Kampfes stärker und wesentlich wirksamer sind. In diesem Sinne müssen beide Seiten in ihren Herzen und Sinnen die notwendige Stärke aufbringen, um den Kern des Konflikts zu erkennen, damit das palästinensische Volk auf lange Sicht zu uneingeschränkter Freiheit in einem eigenen überlebensfähigen Staat gelangen kann. Das Gebot der Stunde ist die Verwirklichung der völkerrechtlichen Prinzipien durch die Durchsetzung der verbindlichen Resolutionen der Vereinten Nationen. Wenn beide Seiten diese Stärke aufbringen, so ist dies ein Zeichen für kluge Voraussicht und eine unerlässliche Vorbedingung für einen dauerhaften Frieden (Auszug aus "A faithful Appeal" vom 9. November 2000).

    Der Zentralausschuss gibt seiner tiefen Trauer und ernsten Besorgnis über die neuerliche Eskalation der Gewalt in den palästinensischen autonomen und besetzten Gebieten und in Israel Ausdruck, die in den vergangenen vier Monaten eine hohe Zahl an Menschenleben, insbesondere unter palästinensischen Kindern und Jugendlichen gefordert hat. Er spricht allen, die darunter zu leiden und den Tod von Angehörigen zu beklagen haben, sein Mitgefühl aus; er versichert die Verantwortlichen der Kirchen und christlichen Gemeinschaften in Jerusalem seines anhaltenden Gebetes und seiner Solidarität, da sie in ihrem Herzen und in ihren Sinnen das Leid ihrer Gemeinschaften und aller derjenigen Palästinenser und Israelis tragen, die unter den Folgen dieses Konflikts zu leiden haben.

    Wir teilen die Frustration und die Enttäuschung unserer palästinensischen Schwestern und Brüder. Die Art und Weise der Diskriminierung, der routinemäßigen Demütigung, der Segregation und Ausgrenzung der Palästinenser, durch die ihre Freizügigkeit und der Zugang zu den Heiligen Stätten eingeschränkt wird, der unverhältnismässige Einsatz von Militärgewalt durch Israel, die Behinderung des Zugangs zu rechtzeitiger ärztlicher Versorgung, die Zerstörung von Eigentum, darunter Zehntausender von Olivenbäumen, und die Notwendigkeit von Sondergenehmigungen für Palästinenser, die Gebiete unter israelischer Verwaltung betreten wollen, welche durch die zunehmende Aufsplitterung der Palästinensergebiete zur "Kantonisierung" des Landes führt - all dies ruft tiefe Sorge und Bedauern in uns hervor und erinnert allzu sehr an eine Politik, die der ÖRK bereits in der Vergangenheit verurteilt hat.

    Wir fordern daher die Mitgliedskirchen des ÖRK auf, Ungerechtigkeit und alle Formen der Diskriminierung mit noch größerem Nachdruck zu verurteilen, auf ein Ende der israelischen Besatzung hinzuwirken und für einen umfassenden und gerechten Frieden im Nahen Osten zu beten und sich dafür einzusetzen. Um einer besseren Information über die Vorgänge willen und zur Unterstützung dieser Bemühungen empfehlen wir den Kirchen die Hintergrundinformationen, die dem Zentralausschuss bei dieser Tagung vorlagen, dringend zur Prüfung und Beschlussfassung.

    Wir rufen den Generalsekretär und den Stab des Rates auf:

  • an ihrer Unterstützung der Bemühungen um einen Frieden im Nahen Osten auf dem Verhandlungswege festzuhalten und dabei den Fragen des künftigen Status von Jerusalem, des Rückkehrrechts der palästinensischen Flüchtlinge, der wachsenden Zahl israelischer Siedlungen und Maßnahmen zur Durchsetzung aller einschlägigen UN-Resolutionen und damit auch des darin geforderten Rückzugs der Israelis aus allen besetzten Gebieten besondere Beachtung zu schenken;
  • auch weiterhin die Lage sorgfältig zu analysieren und die Kirchen regelmäßig darüber zu informieren;
  • die lokalen israelischen und palästinensischen Friedensbemühungen an der Basis zu unterstützen und
  • kirchliche, ökumenische und andere Initiativen zu unterstützen und/oder mit ihnen zusammenzuarbeiten, um auf diese Weise die internationale Unterstützung für einen umfassenden Frieden auf der Grundlage von Gerechtigkeit und Sicherheit für alle Völker in der Region zu verstärken.

    EMPFEHLUNG: Der Ausschuss für öffentliche Angelegenheiten empfiehlt die Annahme dieses Protokollpunktes.

    III. Protokollpunkt zu Kolumbien

    Die Vereinigten Staaten von Amerika haben einen "Kolumbienplan" beschlossen und sind dabei, ihn umzusetzen. Dieser Plan, der unter anderem die Lieferung zusätzlicher militärischer Ausrüstung und Militäraktionen auf kolumbianischem Gebiet vorsieht, wurde vom Lateinamerikanischen Rat der Kirchen (CLAI) auf seiner Vollversammlung (14.-19. Januar 2001) in Barranquilla, Kolumbien, scharf kritisiert. Auch von Nichtregierungsorganisationen in Lateinamerika wurde dieser Plan in dem "Brief der Ausgegrenzten", der im vorigen Jahr an die Vereinten Nationen gerichtet worden war, verurteilt.

    Die lateinamerikanischen Kirchen sind der Auffassung, dass dieser Plan die jetzt schon kritische Situation in Kolumbien weiter anheizen wird und die ernste Gefahr besteht, dass der Konflikt auf weitere lateinamerikanische Länder übergreift. Die Nachbarländer konzentrieren bereits Streitkräfte an ihren Grenzen zu Kolumbien. Entsprechend wächst die Zahl der Flüchtlinge und Vertriebenen in dramatischem Ausmaß. Im Jahr 2000 wurden 38 000 Menschen getötet, während Tausende andere verschwunden sind, verstümmelt oder aus ihren Häusern vertrieben wurden. Besonders betroffen sind Afro-Kolumbianer und die Urbevölkerung.

    Die Kirchen in Kolumbien sind mit Schwesterkirchen in anderen Teilen der Welt, auch mit Kirchen in den USA, im Gespräch, um sie über die Lage zu unterrichten und gemeinsame Fürsprache- und Solidaritätsaktionen zu planen. Der Generalsekretär des Nationalrates der Kirchen Christi in den USA ist vor kurzem an der Spitze einer Delegation nach Kolumbien gereist, um sich ein Bild von der sich ausbreitenden Gewalt zu verschaffen und zu sondieren, wie die Kirchen in Kolumbien und in der Region unterstützt werden können.

    In der Überzeugung, dass militärische Hilfe der Sache des Friedens nicht dienen kann, schließt sich der Zentralausschuss dem Widerstand des CLAI gegen den Kolumbienplan an. Er versichert das kolumbianische Volk, insbesondere aber die Angehörigen der Getöteten, die Verstümmelten, Verschwundenen und Vertriebenen und die kolumbianischen Kirchen in ihren Bemühungen um Frieden seiner Solidarität. Er fordert den Rat nachdrücklich auf, seine Bemühungen um Unterstützung von Friedensverhandlungen zu verstärken, um der jahrzehntelangen Gewalt in Kolumbien ein Ende zu setzen.

    EMPFEHLUNG: Der Ausschuss für öffentliche Angelegenheiten empfiehlt die Annahme dieses Protokollpunktes.

    IV. Protokollpunkt zu Zypern Bei seiner Tagung im wiedervereinigten Deutschland erinnert der Zentralausschuss daran, dass während seiner Tagung im August 1974 in Berlin türkische Streitkräfte in Zypern einmarschierten, damit die Flucht von mehr als 250 000 Menschen aus ihrem Land auslösten und siebenunddreißig Prozent des Territoriums besetzten. Wir wiederholen die Aufrufe des Ökumenischen Rates der Kirchen zu Gerechtigkeit, Frieden, Versöhnung und zur Wiedervereinigung von Zypern und wir versichern das Volk und die Kirche Zyperns unseres anhaltenden Gebets darum, dass dieser langjährige Konflikt bald auf dem Verhandlungsweg beigelegt und diese letzte trennende Mauer in Europa endlich niedergerissen wird.

    EMPFEHLUNG: Der Ausschuss für öffentliche Angelegenheiten empfiehlt die Annahme dieses Protokollpunktes.

    V. Protokollpunkt zu Indonesien Der Zentralausschuss des ökumenischen Rates der Kirchen nimmt mit Trauer und Sorge die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen muslimischen und christlichen Gemeinschaften auf den Molukken zur Kenntnis, die im Januar 1999 begonnen haben. Sie forderten bisher über 5 000 Todesopfer, 500 000 Menschen wurden vertrieben und Eigentum im Wert von mehreren Milliarden Rupien vernichtet. Das Vertrauen zwischen der christlichen und der muslimischen Gemeinschaft hat erheblich darunter gelitten. Zwar haben die beiden Gemeinschaften wiederholt vereinbart, das Feuer und das Töten einzustellen, doch waren diese Abmachungen nie von Dauer und die Kampfhandlungen wurden mit Racheakten wieder aufgenommen. Die indonesischen Sicherheitskräfte haben sich häufig als verantwortungslos und unfähig erwiesen, ihre Aufgaben auszuführen; und sie haben es wiederholt unterlassen, der Gewalt Einhalt zu gebieten und die Täter zur Verantwortung zu ziehen. Mitglieder der indonesischen Armee und Polizei sind an einigen der Angriffe nachweislich unmittelbar beteiligt gewesen. Die staatlichen Behörden haben bislang in keinem einzigen Fall disziplinarische Maßnahmen gegen die Täter ergriffen.

    Die Lage wurde durch das organisierte Auftreten der aus Java eingereisten extremistischen Muslimgruppe "Lashkar Jihad" noch weiter verschärft. Tausende ihrer Mitglieder haben systematische "religiöse Säuberungen" sowie Zwangsbekehrungen von Christen vorgenommen. Diese Gruppe ist von einem Truppenteil der indonesischen Streitkräfte mit Waffen versorgt und ausgebildet worden und wird auch von Politikern in Jakarta unterstützt und gefördert. Der Zentralausschuss, der vom 29. Januar bis 6. Februar 2001 in Potsdam tagt,

  • wiederholt in dieser kritischen Zeit die Solidaritätsbekundungen des ÖRK und hält an dem Gebet für die Menschen und die Kirchen in Indonesien fest;
  • erneuert den Aufruf des ÖRK an die religiösen, politischen und militärischen Verantwortlichen in Indonesien, keine Mühe auf dem Weg zu einer friedlichen Lösung des Konflikts, zur Entwaffnung der Milizen auf allen Seiten und zur Wiederherstellung von Recht und Ordnung zu scheuen;
  • ruft den ÖRK auf, die Entwicklung weiter zu verfolgen und die Bemühungen der Gemeinschaft der Kirchen in Indonesien zu unterstützen, die islamische Gemeinschaft für den Dialog zur Förderung eines gerechten und dauerhaften Friedens zu gewinnen;
  • bittet den ÖRK, vorrangig weitere Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen den weltweiten Glaubensgemeinschaften zu sondieren, um sich gemeinsam mit den Ursachen der interreligiösen Gewalt auf den Molukken und der Lage in Aceh - insbesondere der Vergehen an Frauen - auseinanderzusetzen;
  • weist die Mitgliedskirchen und kirchlichen Einrichtungen auf die massive Vertreibung von Menschen, auf die Notwendigkeit von Rehabilitationsmaßnahmen für in den Kämpfen verletzte und verstümmelte Menschen und auf andere humanitäre Bedürfnisse hin, und fordert sie nachdrücklich auf, über ACT (Kirchen handeln gemeinsam) grosszügige Hilfe zu leisten.

    EMPFEHLUNG: Der Ausschuss für öffentliche Angelegenheiten empfiehlt die Annahme dieses Protokollpunktes.

    DOKUMENT PI 2 rev.: DER SCHUTZ GEFÄHRDETER BEVÖLKERUNGSGRUPPEN IN SITUATIONEN BEWAFFNETER GEWALT: EIN ÖKUMENISCHER ETHISCHER ANSATZ

    Die Zentralausschussmitglieder haben vor dieser Tagung das Dokument PI 2 mit dem Titel "Die Anwendung von Waffengewalt zur Unterstützung humanitärer Ziele: ein ökumenischer ethischer Ansatz" erhalten. Einige Mitglieder haben die Einladung angenommen und vor dieser Tagung zu diesem Dokument Stellung genommen. Andere haben sich während dieser Tagung in ihrer Antwort auf den Bericht des Vorsitzenden und in anderen Plenarsitzungen und Ausschussdebatten darauf bezogen. Wieder andere haben dem Ausschuss für öffentliche Angelegenheiten schriftliche Kommentare vorgelegt.

    Der Ausschuss für öffentliche Angelegenheiten hat alle diese Stellungnahmen berücksichtigt und den Text des Dokuments umfassend revidiert. Er wird nun unter dem neuen Titel "Der Schutz gefährdeter Bevölkerungsgruppen in Situationen bewaffneter Gewalt: ein ökumenischer ethischer Ansatz" vorgelegt. Der spezifische Verweis auf "humanitäre Interventionen" und "Waffengewalt" ist zugunsten anderer Formulierungen fallen gelassen worden.

    Der Ausschuss hat dem Dokument unter Berücksichtigung der Diskussionsbeiträge auch eine neue Einleitung hinzugefügt und erinnert an den Beschluss des Zentralausschusses 1992, dass "aktives gewaltloses Handeln als deutlicher Akzent für Programme und Projekte im Zusammenhang mit der Beilegung von Konflikten bekräftigt werden (möge)". Er geht kurz auf die noch immer ungelösten, unterschiedlichen Standpunkte von Christen und Kirchen im Blick auf Gewalt und Gewaltlosigkeit sowie auf den Einsatz von Waffen ein, eine Debatte, die in der modernen ökumenischen Bewegung fast von Anfang an geführt worden ist. Er nahm sich die Bemerkung der Ersten Vollversammlung (Amsterdam 1948) zu Herzen:

    "Wir bekennen offen, dass es uns schwer ist, so verschiedene Meinungen in dieser Sache unter uns zu haben. Wir bitten alle Christen dringend, sie möchten es als ihre Pflicht ansehen, dauernd um diese schwere Frage zu ringen und in Demut Gott zu bitten, er wolle ihnen den rechten Weg zeigen. Wir glauben, dass hier die Theologen die besondere Verpflichtung haben, den theologischen Fragen nachzugehen, um die es sich hier handelt: Derweilen darf die Kirche nicht aufhören, alle, die eine dieser drei Meinungen mit Ernst vertreten und die bereit sind, sich von Gott erleuchten zu lassen und sich Seinem Willen zu unterwerfen, als ihre Brüder und Schwestern anzusehen."

    In dem Bestreben, diese Aufforderung zu beherzigen, und angesichts der Tatsache, dass dieses Dokument dem Zentralausschuss während einer Tagung vorgelegt wird, in deren Verlauf die Dekade zur Überwindung von Gewalt eröffnet wird, hat sich der Ausschuss für öffentliche Angelegenheiten um eine Formulierung bemüht, die im Konsensverfahren angenommen werden kann.

    Es war uns nicht möglich, einen solchen Konsens herzustellen, doch ist es uns gelungen, ein Dokument zu erarbeiten, das die verschiedenen Meinungen anerkennt, und uns darauf zu einigen. Wir glauben, dass wir es dem Zentralausschuss und den Kirchen in dieser Form zu weiterem Studium und Nachdenken vorlegen können.

    Wir möchten allen danken, die sich innerhalb und außerhalb des Ausschusses für öffentliche Angelegenheiten an diesem Dialog beteiligt haben, und wir danken für den Geist, der unter uns vorherrschte und uns bestrebt sein liess, alle die unterschiedlichen Standpunkte "mit Ernst vertreten" in der Gemeinschaft zusammenzuhalten.

    EMPFEHLUNG: Der Ausschuss für öffentliche Angelegenheiten empfiehlt dem Zentralausschuss daher,

    1. festzustellen und den Kirchen zu übermitteln, dass zum Kern der Aufgabe des Schutzes von Bevölkerungsgruppen in Situationen bewaffneter Gewalt, wie im Hintergrunddokument (PI 2 rev., Punkte1-53) beschrieben, breite Übereinstimmung besteht, dass aber einige Unterschiede hinsichtlich des letzten Teils des Dokuments bestehen bleiben, der Kriterien und Richtlinien für den Schutz gefährdeter Bevölkerungsgruppen in Situationen bewaffneter Gewalt enthält;

    2. das Dokument entgegenzunehmen und den Kirchen zu empfehlen zur weiteren Prüfung und Reflexion sowie zur Verwendung - nach eigenem Gutdünken - in ihrem laufenden Dialog mit Politikern, Regierungen, internationalen Organisationen, Forschungseinrichtungen, Friedensgruppen und der Zivilgesellschaft insgesamt;

    3. die Kirchen zu ersuchen, der Kommission der Kirchen für internationale Angelegenheiten (CCIA) die Ergebnisse dieser Prüfungen, Reflexionen und Dialoge mitzuteilen;

    4. die CCIA zu ersuchen, auf einer der künftigen Tagungen des Zentralausschusses ein weiter ausformuliertes Dokument zur Erörterung vorzulegen.


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