Ökumenischer Rat der Kirchen
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Zum 100. Geburtstag von Willem A. Visser ’t Hooft |
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von John Garrett Willem A. Visser 't Hooft, der erste Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen, ist im September vor hundert Jahren in Haarlem, in den Niederlan-den geboren. Er wurde Wim genannt, was mich an das englische Wort "vim" -- Energie - erinnerte. Energie und Vitalität, die hatte er tatsächlich. Und so haben wir ihn in Erinnerung: von kräftigem Körperbau, mit einer Aura spürbarer Autorität; ein waches Augenpaar in einem markanten Gesicht; eine leicht heisere Stimme, sichere idiomatische Beherrschung mehrerer Sprachen. Sein Englisch, Französisch und Deutsch halfen über die Sprachverwirrung von Babel hinweg. Er hätte auch Staatschef oder Diplomat sein können -- kein zurückhaltender, sondern ein energischer. Mit seiner Art, Ideen zu erfassen, ließ er ausgebildete Professoren hinter sich. Entscheidungen verteidigte er hartnäckig. Manche sagten, er habe Dummköpfe nicht gut ertragen können; er hat niemanden gut ertragen. Ein Gottesmann, ein Mann des Gebets war er, eine Führungspersönlichkeit -- und er wollte die sichtbare Einheit der Kirche vorantreiben. Voll Trauer sah er auf die Spaltungen unter den Christen. Er ließ sich von dem Gebet Christi leiten, dass seine Jünger "alle eins seien". Und noch ein anderes Wort Christi war ihm wichtig: "Wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut." Wer ihn gehört hatte, konnte sich nicht wieder in die Selbstzufrieden-heit seiner sektiererischen Nische zurückziehen. Bei der Gründungsversammlung des ÖRK 1948 in Amsterdam sprach er von der "Anomalität unserer Pluralität". Und bei einer Jugendkonferenz in Indien erklärte er 1952 zu Christus: "Ihr sagt, Christus sei die Antwort; und ich sage, Christus ist die Frage." Sein zweites Vorbild war John R. Mott, der herausragende amerikanische Laienpionier der ökumenischen Bewegung. 1926, als er mit seiner Doktorarbeit über Walter Rauschenbachs amerikanische Theologie des sozialen Evangeliums begann, mit der er 1928 in Leiden promovierte, arbeitete er unter Mott für den studentischen CVJM und assistierte ihm bei der Leitung der Weltkonferenz des CVJM in Helsinki. Motts Dynamik und seine Begabung für systematische Organisation gaben Visser 't Hooft für sein Leben eine neue Orientierung. Als Mott 1955 starb, war er den Tränen nahe. Beide einte eine einzige Vision: das Wachsen des Gottesrei-ches. 1932 wurde Visser 't Hooft Generalsekretär des Christlichen Studentenweltbun-des (WSCF), der seinen Sitz in Genf hat. Von da an war er in Genf zu Hause. In den 30er Jahren und während des Zweiten Weltkrieges beteiligte er sich am eu-ropäischen Widerstand gegen Hitler. Er bereitete die Christliche Weltjugendkon-ferenz 1939 in Amsterdam vor, bei der unter den Delegierten schon erster Widerstand gegen den Nazismus zu spüren war. Im Zweiten Weltkrieg standen viele in geg-nerischen Lagern. In seiner Arbeit für den WSCF hielt Visser 't Hooft den Kon-takt zu den Freunden aufrecht. Er war ein Anhänger des Schweizer reformierten Theologen Karl Barth, der aus Deutschland ausgewiesen worden war, weil er den Eid auf Hitler verweigert hatte. Visser 't Hooft bewunderte Barths Krisentheologie und las einem nach dem anderen die Bände seiner umfangreichen Kirchlichen Dog-matik. Barth hielt bei der ersten Vollversammlung des ÖRK im Jahre 1948 eine Rede und formulierte mit an der Botschaft. Seine Studenten gehörten inner-halb und außerhalb Deutschlands zu den Widerstandskämpfern. Visser 't Hooft wurde im neutralen Genf zu einer Schaltstelle des europäischen Unter-grunds. Er wandte Spionagetaktiken an, versteckte Mikrofilm-Botschaften in Bleistif-ten. Widerstandskämpfer suchten ihn im neutralen Genf auf. In dieser traumati-schen Zeit entstand der Weltrat. "Welt"? Die Welt stellte sich früher oder später in Genf ein. Visser 't Hooft legte Wert auf den Namen "World Council", Weltrat, auf das Wort Welt. Vom Vorbereitungsausschuss des ÖRK wurde er dazu ausersehen, den Gründungsprozess von 1938-1948 zu leiten. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits Weltbürger mit Kontakten in allen Kontinenten. Er war zwar ordiniert, aber er war kein Geistlicher im konventionellen Sinne. Er konnte auch weltlich sein. Er kannte ein Unzahl von Politikern, Botschaftern und Staatsbeamten, von denen viele Freunde aus der Studentenbewegung waren. Wenn er in den späten Nachmittagsstunden das Gebäude des Ökumenischen Rates verließ, folgte er häufig Einladungen zu Empfängen, wo er Diplomaten und Regierungschefs ansprechen konnte. In der Regel hatte er sich eine wichtige Frage vorgenommen oder wollte einen Gefallen erbitten. Danach ging er nach Hause zu seiner hoch intellektuellen, häufig kränklichen holländischen Frau. Nach Möglichkeit be-diente er sich seiner Muttersprache; so zum Beispiel wenn er theologisch mit den Nie-derländisch-Reformierten in Südafrika über die Apartheid stritt. Er hatte einen hintergründigen Humor, hielt sich aber gelegentlich auch zurück. Als bei der Zweiten Vollversammlung des Ökumenischen Rates im Jahre 1954 in Evanston ein Bischof der Kirche von England öffentlich darüber klagte, dass der Rat "an zu viel deutscher Theologie, an zu viel amerika-nischem Geld und an zu viel holländischer Bürokratie" kranke, lächelte er nur in sich hinein. Er äußerte später:: "Ich musste an mich halten, um ihm nicht zu telegraphieren: 'Ich lade die englischen Prälaten ein, sich der ökumenischen Verschwörung anzuschließen'". Seine Reisen in alle Welt legten den Grund für Programme über nationale Grenzen hinweg. Er unterstützte zwischenkirchliche Hilfe, Reaktionen auf den raschen Wandel in der dritten Welt, den Flüchtlingsdienst, den Widerstand gegen den Rassismus, die Zusammenarbeit von Männern und Frauen in Kirche und Ge-sellschaft. Diese gemeinsamen Aufgaben waren für ihn Früchte der wach-senden Einheit. All das war für ihn ökumenisches Handeln. Er stützte sich auf Beraterinnen und Mitarbeiterinnen, unter ihnen Suzanne de Diétrich, die die Bibelarbeit am Ökumenischen Institut Bossey leitete, und Madeleine Barot, die im besetzten Frankreich CIMADE gegründet hatte, ein ökumenisches Hilfswerk für Kriegsopfer. Dorothy Mackie, die Frau des aus Schottland stammenden stellvertretenden Generalsekretärs, eines begnadeten Seelsorgers, der Visser ‘t Hooft vom WSCF in den ÖRK gefolgt war, riet einmal einer Frau, die mit seiner Kompromisslosigkeit nicht zurecht kam: "Wehren Sie sich gegen Wim; er mag es, wenn seine Frauen standhaft sind." Angeregt zum Teil von früheren Bemühungen Motts um Annäherung an die östliche Orthodoxie, schätzte er es seit langem, dass die Griechen Wert auf das Wort koinonia legten, was in der Definition des ÖRK mit "Ge-meinschaft" übersetzt wird. Viele Male hat er um Garantien für die Rechte des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel in der Türkei interve-niert. Während des Kalten Krieges und danach stieß Visser 't Hooft auf Kritik, weil er an der Solidarität mit östlichen Kirchen und auch mit dem Moskauer Patriarchat der Russischen Orthodoxen Kirche festhielt. In Paris hatte er Freunde unter den russisch-orthodoxen Emigranten. Im Umgang mit Kirchen in kommunistischen Ländern war er realistisch. Er wusste, dass die Kirchen so etwas wie Inseln des Glaubens in einem weiten bedrohli-chen Meer waren. Seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Stab wies er an, bei ihren Reisen auf vom Staat eingeschleuste Leute in den kirchlichen Verwaltungen zu achten; "Kindermädchen" nannte er diese. Als Papst Johannes XXIII. 1960 ein "Einheitskonzil" ankündigte, bei dem "den getrennten Brüdern" die Hand gereicht werden sollte, glaubte er zunächst an eine erneute Aufforderung zur "Rückkehr in den Schoß der Kirche". Die katholische Kirche hatte es zuvor abgelehnt, mit dem Weltrat zusammenzuarbeiten. Noch rechtzeitig erkannte er aber, dass das II. Vatikanische Konzil eine radikale Er-neuerung anstrebte und auch die ökumenische Bewegung akzeptieren wollte. Es traf ihn allerdings nicht ganz unvorbereitet. In den 50er Jahren, vor der Einberufung des II. Vatikanums, hatte Hans Harms von der ÖRK-Kommission für Glauben und Kirchenverfassung seinem deutschen Landsmann Augustin Kardinal Bea, dem Beichtvater Papst Pius' XII., in Rom regelmäßig Besuche abgestattet. Harms brachte vertrauliche Mitteilungen über Veränderungen mit, die in der päpstlichen Kurie vor sich gingen. Visser 't Hooft reagierte schließlich. Er konferierte in Niederländisch mit dem holländischen Leiter des Vatika-nischen Sekretariats für die Einheit der Christen, Kardinal Jan Willebrands, der seinen Rat suchte, wenn andere Kirchen zu den Sitzungen des Konzils eingeladen wur-den. Zwei Päpste, Paul VI. und Johannes Paul II., besuchten das ökumenische Zentrum; da war Visser 't Hooft allerdings, seit 1966, schon im Ru-hestand. Nach seiner Pensionierung war ihm ein Büro im Ökumenischen Zentrum zur Verfügung gestellt worden; dort schrieb er seine Lebenserinnerungen auf. In den Kaffeepausen scharten sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um ihn. Er war zur Legende geworden -- zu einem Guru. War er zu lange geblieben? Stand er seinen Nach-folgern im Licht? Ein Journalist, der ihn über die immer wiederkehrende Frage "Ist die ökumenische Bewegung noch in Bewegung"? reden hörte, meinte: "Vielleicht merkt er, dass sie an Tempo verliert." Zu seinem 80. Geburtstag gratulierte ich ihm und erinnerte ihn in meinem Brief an die Worte von John R. Mott: "Das Beste liegt noch vor uns". Er antwortete mir darauf: "Mott hatte Recht," und fügte hinzu, "für mich allerdings vor allem da oben." Visser ‘t Hooft starb1985. Wir schauen noch immer zu ihm auf. Noch im Jahr 2000 spüren wir seine Gegenwart. Mott würdigte Mitarbeiter häufig mit den Worten: "Was verdanken wir ihm nicht?" So ist es! Der ÖRK wird während der Sitzung des ÖRK-Exekutivausschusses in einer Feier am Donnerstag, 28. September, an Visser ’t Hooft erinnern. Über weitere Aktivitäten des ÖRK aus Anlass des 100. Geburtstages von Visser ’t Hooft wird in kürze eine Pressemeldung informieren. Möchten Sie weiterlesen? Dann klicken Sie hier, Willem A. Visser 't Hooft: 1900 - 1985
Der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) ist eine Gemeinschaft von 337 Kirchen in über 100 Ländern auf allen Kontinenten und aus praktisch allen christlichen Traditionen. Die römisch-katholische Kirche ist keine Mitgliedskirche, arbeitet aber mit dem ÖRK zusammen. Oberstes Leitungsorgan ist die Vollversammlung, die ungefähr alle sieben Jahre zussammentritt. Der ÖRK wurde 1948 in Amsterdam (Niederlande) offiziell gegründet. An der Spitze der Mitarbeiterschaft steht Generalsekretär Konrad Raiser von der Evangelischen Kirche in Deutschland.
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