Straffreiheit, Wahrheit, Gerechtigkeit und Versöhnung
Die seit dem Ende des Kalten Krieges zu beobachtende Verbreitung neuartiger und komplexer Konflikte stellt die Kirchen vor neue und dringende Herausforderungen. Diese Konflikte haben nicht nur eine bisher einmalig hohe Zahl von zivilen Todesopfern gefordert, bei vielen von ihnen ist auch der religiöse Faktor in den Mittelpunkt gerückt. Viele dieser Konflikte passen sich nicht in das traditionelle Modell der zwischenstaatlichen Kriege um Land oder Vorherrschaft ein, sondern sind eher innerstaatliche Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen ethnischen, nationalen und rassischen Gruppen. Daher haben sie die internationale Gemeinschaft unvorbereitet getroffen und traditionellen Lösungsmethoden widerstanden. Aus Untersuchungen von Konfliktlösungs-Spezialisten geht hervor, dass in vielen Fällen ungelöste historische Spannungen zugrunde liegen, die auf Verstöße der einen gegen die andere Seite zurückgehen.
Die Gewährung von Straffreiheit, de jure oder de facto, für Personen, die sich in der Vergangenheit schwerer Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht haben; das Versäumnis der Gesellschaft oder der internationalen Gemeinschaft, die Wahrheit über solche Verbrechen zu ermitteln und einzugestehen; und die schwelenden Ressentiments derer, die verletzt wurden - dies alles sind häufig Ursachen für das Ausbrechen von Konflikten. Kirchen auf der ganzen Welt erkennen zunehmend, dass sie diese Dynamik besser verstehen müssen, wenn sie wahre Wegbereiter der Versöhnung sein wollen. Der Ökumenische Rat der Kirchen verfolgt seit 1993 ein Programm über Straffreiheit, Wahrheit und Versöhnung, um diese Tendenzen näher zu untersuchen und den Kirchen zu helfen, darauf zu reagieren. Ziel ist, die Christen darauf vorzubereiten, erste Alarmzeichen für den Ausbruch eines Konflikts zu erkennen und darauf zu reagieren, bevor er in einen Krieg umschlägt, den Menschen in Zeiten bewaffneter Auseinandersetzung seelsorgerlich beizustehen und dafür zu sorgen, dass nach dem Konflikt ein tiefgreifender Prozess der Heilung und Versöhnung einsetzt.
Seit Anfang 2001 arbeitet das Programm über Straffreiheit, Wahrheit, Gerechtigkeit und Versöhnung eng mit dem Team für die Ökumenische Dekade zur Überwindung von Gewalt zusammen. Dies ist einer der Beiträge des ÖRK zu dieser Dekade. |
wiedergutmachende Gerechtigkeit
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Aufgaben
Entstehungsgeschichte des Programms Anfang der 1970er Jahre richtete der Ökumenische Rat der Kirchen ein Büro für Menschenrechtsfragen in Lateinamerika (HRROLA) ein, um Kirchen und kirchliche Gruppen in Lateinamerika und der Karibik in ihrem Kampf um den Schutz der Menschenrechte in brutalen Militärdiktaturen zur Seite zu stehen. Das Büro unter der Leitung von Pfr. Charles Harper (mit finanzieller Unterstützung der Christlichen Kirche/Jünger Christi) förderte oder verstärkte die Einrichtung von Gruppen in ganz Süd- und Mittelamerika, die oft zur einzigen Anlaufstelle wurden, wenn es um die Verteidigung der Menschenrechte und um Seelsorge für Menschen in großer Gefahr ging. Viele dieser Gruppen bildeten später das Rückgrat neuer, demokratischer Übergangsregierungen von der Militär- zur Zivilherrschaft. Während der Übergangszeit haben sich viele dieser Gruppen mit der Frage der Straffreiheit beschäftigt, als in einem Land nach dem anderen Verordnungen oder Gesetze erlassen wurden, die die für Massenverbrechen gegen die Bevölkerung Verantwortlichen vor Strafverfolgung schützten. Pfr. Harper bat Gruppen in sechs solchen Ländern, ihre Erfahrungen und ihre Analysen des Phänomens der Straffreiheit und deren tiefgreifende Auswirkungen auf Übergangsgesellschaften aufzuschreiben. Diese Niederschriften wurden 1996 vom ÖRK in einem Band mit dem Titel Impunity: An Ethical Perspective veröffentlicht. Das Buch hat weite Verbreitung in vielen Teilen der Welt gefunden. Upon Harper’s retirement, Ms Geneviève Jacques, Nach Harpers Pensionierung stellte der ÖRK Geneviève Jacques - frühere Generalsekretärin der CIMADE, dem ökumenischen Hilfswerk für Flüchtlinge, Migranten und Asylsuchende mit Sitz in Paris - als Beraterin ein, um dieses Programm weiterzuführen. Aufbauend auf den Erfahrungen während des Krieges in Bosnien-Herzegowina, des Genozids in Ruanda und mit der Arbeit der südafrikanischen Kommission für Wahrheit und Versöhnung baute Jacques die Perspektiven weiter aus. Es entstand ein neues Netzwerk aus Personen, die sich in Theorie und Praxis mit diesen Themen beschäftigen, und es wurden Schritte unternommen, um neue Initiativen in Afrika einzuleiten. Auf der Achten Vollversammlung des ÖRK in Harare wurde dem Thema Straffreiheit eine Sondersitzung im Rahmen der Padare-Veranstaltungen gewidmet, in der Personen von verschiedenen Kontinenten das Wort ergriffen. In Beyond Impunity. An ecumenical approach to truth, justice and reconciliation (Genf, ÖRK, 2000) hat G. Jacques diese Analyse der Probleme vertieft und Studienfragen für den Gebrauch in Kirchenräten und Gemeinden formuliert. 2001 erschien das Buch in spanischer und französischer Übersetzung.
Wichtige Dokumente |
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