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ZENTRALAUSSCHUSS 1999 NR. 2


26. August 1999

ÖRK-GENERALSEKRETÄR KONRAD RAISER: ÜBERWINDUNG VON GEWALT IST ENTSCHEIDEND FÜR KIRCHE-SEIN IM 21. JAHRHUNDERT


In Genf ist der Zentralausschuss des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in neuer Zusammensetzung und in neuen Strukturen zusammengetreten, 26. August bis 3. September. In einem Rückblick ging ÖRK-Generalsekretär Konrad Raiser auf die Ergebnisse der letztjährigen Vollversammlung von Harare und auf die Forderungen nach einer thematischen und organisatorischen Koordination der vielen internationalen Kirchenversammlungen ein. Hauptaufgabe des Zentralausschusses werde es sein, den Arbeitsplan für die nächsten drei Jahre und eine 7-Jahre-Perspektive bis zur nächsten Vollversammlung zu diskutieren. In seinem Ausblick legte Raiser besonderes Gewicht auf die geplante "Ökumenische Dekade zur Überwindung von Gewalt" (2001 - 2010).

In seinem Rückblick auf Harare hob Raiser den Willen der 336 ÖRK-Mitgliedskirchen hervor, trotz tiefgreifender Unterschiede beieinander zu bleiben. "Die immer neuen Bemühungen, zusammenzubleiben und eine Kultur der "Konvivenzia" - des Zusammenlebens - zu schaffen, könnten sich als eine zentrale ökumenische Verantwortung in einem Zeitalter der Globalisierung herausstellen."

Harare habe gezeigt, dass der ÖRK für diese Aufgabe ein Potential an Energien und Möglichkeiten besitze, das in Zukunft wichtiger sei als ein überkommenes programmatisches Profil im Blick auf die Fragen von Einheit, Mission oder Gerechtigkeit. Aus diesem Grund müsse der Prozess der Vollversammlungen künftig dem Ziel dienen, die Kommunikation der Mitgliedskirchen untereinander zu stärken. Die Delegierten dürften deshalb nicht in erster Linie als Mitglieder eines beschlussfassenden Gremiums verstanden werden, sondern als Kommunikatorinnen und Kommunikatoren. Ihre Aufgabe sei es, sich auf die Verknüpfung unterschiedlicher Lebensgeschichten statt auf Kontroversen zu konzentrieren, um den ökumenischen Dialog über Themen und zentrale Fragen zu fördern.

Ein weiterer Grund, die Rolle der Vollversammlung zu überdenken, sei die unkoordinierte Abfolge von grösseren internationalen ökumenischen Konferenzen mit ähnlichen Strukturen, parallelen Themen und der Erwartung, dass sich die Kirchen aktiv an Vor-und Nacharbeiten beteiligten. Es sei deshalb dringend notwendig, Wege zu finden, diese Konferenzen besser aufeinander abzustimmen. Raiser kündigte an, der ÖRK werde schon nächstes Jahr Vorschläge für eine Koordination der Vollversammlungen des Lutherischen Weltbundes (LWB) und des ÖRK vorlegen.

In seinem Ausblick legte Raiser besonderes Gewicht auf die in Harare angeregte "Ökumenische Dekade zur Überwindung von Gewalt". Die Verpflichtung zum Bau einer Kultur des Friedens könne das prophetische Zeugnis sein angesichts der weltweiten Auseinandersetzung um Macht und Ressourcen, um Identität oder blosses Überleben in einer globalisierten Welt. Die vorgeschlagene Dekade sei mehr als nur ein weiteres grosses, soziales und politisches Programm des ÖRK. "Gewalt in den Wohnungen und auf den Strassen, zwischen ethnischen und religösen Gruppen, innerhalb und zwischen Nationalen und Gesellschaften ist zur destruktivsten Kraft für das menschliche Gemeinschaftsleben geworden. An der Überwindung von Gewalt zu arbeiten, ist daher eine dringende Aufgabe für diejenigen, die sich verpflichtet haben, dauerhafte, gerechte und versöhnte Gemeinschaften zu bauen."

Die Überwindung von Gewalt sei entscheidend für das Kirche-Sein im 21. Jahrhundert. Die Dekade müsse deshalb zu einer gemeinsamen Bemühung der Kirchen und der ökumenischen Bewegung werden. Die zwei Jahre bis zum Beginn der Dekade seien wichtig, um den Boden zu bereiten.

Raiser betonte, die Beschäftigung mit "Gewalt" und "Gewaltfreiheit" sei kein neues Thema für den ÖRK. Die ökumenische Bewegung werde weiterhin auf die Ächtung des Krieges als "legales" Mittel zur Lösung von Konflikten hinarbeiten. "Wir verlangen von den Regierungen, dass sie eine internationale Rechtsordnung schaffen, die der Verwirklichung des Friedens dient." Dauerhafter Friede sei aber nur auf der Grundlage von Gerechtigkeit möglich. Doch diese Überzeugung sei in den Konflikten der letzten Jahr auf eine harte Probe gestellt worden. "Wie kann ein Prozess der Versöhnung beginnen, wenn beide Seiten sich als Opfer von Ungerechtigkeit verstehen?" Ökumenische Solidarität stehe vor einem Dilemma, wenn die Unterscheidung zwischen Opfern und Tätern nicht mehr klar sei. Bis jetzt habe sich die ökumenische Diskussion von einem strafenden und richtenden Verständnis von Gerechtigkeit mit dem Ziel der Erkenntnis von Recht und Unrecht leiten lassen. Künftig werde sie sich stärker um die Förderung von Gerechtigkeit im Sinn der

"Gewalt", so Raiser weiter, sei aber nicht nur "das Problem in der Welt um uns herum". Die theologischen Traditionen und die Machtstrukturen innerhalb der ökumenischen Bewegung hätten die Einstellungen in der säkularen Welt mitgeprägt. Die Kirchen seien auch ein Teil des Problems, das sie zu bewältigen versuchten. So habe die letzte ökumenische Dekade "Kirchen in Solidarität mit den Frauen" gezeigt, dass zum Beispiel Gewalt gegen Frauen eine Wirklichkeit "in vielen unserer Kirchen" sei. Die Dekade zur Überwindung von Gewalt werde daher mit einer selbstkritischen Prüfung der theologischen und kulturellen Traditionen beginnen müssen. "Wir befinden uns an einem entscheidenden Punkt in der langen und kontroversen ökumenischen Debatte über Gewalt und Gewaltfreiheit, Krieg und Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung", betonte Raiser zum Schluss seines Vortrags.


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