Ökumenischer Rat der Kirchen Kommunikationsabteilung
Pressemitteilung

150 route de Ferney, Postfach 2100, 1211 Genf 2, Schweiz
E-Mail: media



16. November 1999

ÖRK UND KEK KRITISIEREN "UNVERANTWORTBAREN EINSATZ VON GEWALT SEITENS DES RUSSISCHEN MILITÄRS"


Der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) und die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) haben in einem gemeinsamen Schreiben an den Patriarchen von Moskau und ganz Russland, Alexij II., ihre "tiefe Sorge" über den Einsatz und das Vorgehen russischer Streitkräfte in Tschetschenien zum Ausdruck gebracht. ÖRK-Generalsekretär Konrad Raiser und KEK-Generalsekretär Keith Clements beklagen in ihrem Schreiben "den unverhältnismässigen und unverantwortbaren Einsatz von Gewalt seitens des russischen Militärs, der zu einer äusserst gravierenden humanitären Krise beiträgt".

Raiser und Clements gehen in ihrem Brief auch auf die Erklärung ein, die der russisch-orthodoxe Patriarch am 12. November zur Situation in Tschetschenien abgegeben hat. Alexij II. forderte darin die russischen Streitkräfte auf, sicherzustellen, dass die Zivilbevölkerung in dem Konflikt verschont werde. Gleichzeitig appellierte er an "die muslimische Bevölkerung im Konfliktgebiet und in ganz Russland", gemeinsam mit den Christen auf eine "geistliche Erneuerung in unserem Land" hinzuarbeiten und sich "für den Aufbau eines Lebens im Einklang mit den überkommenen moralischen Vorstellungen" einzusetzen.

Das weltweite ökumenische Nothilfenetz "Kirchen helfen gemeinsam" (ACT) hat zwei Spendenaufrufe über insgesamt zwei Millionen US-Dollar erlassen, um notleidenden Menschen in Tschetschenien, Inguschetien, Dagestan und im Gebiet um Stavropol zu helfen. In Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen vor Ort plant ACT, für rund 40 000 Menschen in der ganzen Region Lebensmittel, Unterkunft, Bekleidung und medizinische Grundversorgung zur Verfügung zu stellen.

Es folgt der Wortlaut des Briefes an Seine Heiligkeit Alexij II., Patriarch von Moskau und ganz Russland:

"Wir grüssen Sie im Namen unseres Herrn und Heilands Jesus Christus, denn ‘Er ist unser Friede (Eph. 2,14).

Im Namen der Konferenz Europäischer Kirchen und des Ökumenischen Rates der Kirchen geben wir unserer tiefen Sorge Ausdruck angesichts der anhaltenden Eskalation des Konflikts in Tschetschenien und der menschlichen Tragödie, die sich im nördlichen Kaukasus abspielt. Zugleich bezeugen wir unsere Dankbarkeit über die unlängst von Eurer Heiligkeit veröffentlichte Erklärung zur Situation in Tschetschenien.

Die KEK und der ÖRK sind sich bewusst, dass der gegenwärtigen bewaffneten Intervention der russischen Streitkräfte ein Kontext von Gesetzlosigkeit und Terrorismus vorausgegangen ist. Wir gedenken der zahlreichen Opfer terroristischer Akte, Entführungen und Exekutionen in Tschetschenien, darunter auch mehrere christliche Geistliche und kirchliche Mitarbeiter. Dennoch sind wir der Auffassung, dass selbst legitime politische oder militärische Ziele keine Rechtfertigung für die unschuldigen Opfer und das Leid der Völker in der Region sein können.

Wir beklagen den unverhältnismässigen und unverantwortbaren Einsatz von Gewalt seitens des russischen Militärs, der zu einer äusserst gravierenden humanitären Krise beiträgt. Wir appellieren an die politische Führung Russlands und Tschetscheniens sowie an die Kämpfenden auf allen Seiten, sich der Menschen und insbesondere der Zivilbevölkerung, der Gefangenen und der Verwundeten zu erbarmen.

Die KEK und der ÖRK rufen Eure Heiligkeit und die Leitung der Russischen Orthodoxen Kirche auf, alles in Ihrer Macht stehende zu unternehmen, um zu gewährleisten, dass internationale humanitäre Hilfe ungehindert und sicher zu jenen Menschen gelangt, die durch diesen Konflikt entwurzelt worden sind, und um eine friedliche Beilegung der Krise voranzubringen. Die ökumenischen Organisationen werden auch weiterhin eng mit der Russischen Orthodoxen Kirche und anderen Partnern zusammenarbeiten, um über ihr gemeinsames Nothilfenetz "Kirchen helfen gemeinsam" (ACT) denen zu helfen, die am meisten der Hilfe bedürfen.

Der ÖRK lehnt ebenso wie die Russische Orthodoxe Kirche den Missbrauch der Religion für politische Zwecke ab, auf welchen Eure Heiligkeit in vorangegangenen Erklä rungen aufmerksam gemacht hat. Wir widersetzen uns jeglicher religiös begründeten Radikalisierung, und wir ermutigen alle Bemühungen führender islamischer und christlicher Persönlichkeiten, die sich aktiv für eine friedliche und auf Toleranz beruhende Lösung dieses Konflikts einsetzen.

Die KEK und der ÖRK beten mit der Russischen Orthodoxen Kirche und mit anderen Kirchen sowie mit allen Menschen guten Willens darum, dass eine politische Lösung gefunden wird, die tatsächlich dem Willen der tschetschenischen Bevölkerung entspricht und die zur Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit und zu einem dauerhaften und gerechten Frieden für die Völker der Region führt."


Weitere Informationen erhalten Sie von Karin Achtelstetter, ÖRK-Medienbeauftragte
Tel. (Büro): (+41 22) 791 6153
E-mail: media
Zurück zum Anfang

Liste der Pressemitteilungen 1999

ÖRK-Homepage


Der Ökumenische Rat der Kirchen ist eine Gemeinschaft von inzwischen 337 Kirchen in über 100 Ländern auf allen Kontinenten und aus praktisch allen christlichen Traditionen. Die römisch-katholische Kirche ist keine Mitgliedskirche, arbeitet aber mit dem ÖRK zusammen. Oberstes Leitungsorgan ist die Vollversammlung, die ungefähr alle sieben Jahre zusammentritt. Der ÖRK wurde 1948 in Amsterdam (Niederlande) offiziell gegründet. An der Spitze der Mitarbeiterschaft steht Generalsekretär Konrad Raiser von der Evangelischen Kirche in Deutschland.