Ökumenischer Rat der Kirchen
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Vgl. WCC Press Update of 12 October 1999 (nur auf Englisch)
Eine der grössten Herausforderungen für Kuba ist es, "die kubanische
Bevölkerung auch weiterhin durch Solidarität statt Egoismus zu motivieren,"
erklärte der kubanische Präsident Fidel Castro vor einer internationalen
ökumenischen Delegation, die zu einem Besuch auf der Karibikinsel weilt.
Castro empfing die Gruppe zu einem Essen und vierstündigen Gespräch im
imposanten Regierungsgebäude des Staatsrates in Havanna. Das Interview begann
am späten Abend des 12. Oktober und dauerte bis 3 Uhr morgens am 13.
Oktober.
Die Delegation wurde angeführt von Pfr. Dr. Konrad Raiser, dem
Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK). In seiner
Begleitung befanden sich Dr. Walter Altmann, Präsident des
Lateinamerikanischen Rates der Kirchen, und Pfr. Carlos Emilio Ham, einer der
Präsidenten der Karibischen Konferenz der Kirchen
Das Gespräch zwischen den Kirchenführern und dem 73-jährigen kommunistischen
Staats- und Regierungschef erstreckte sich auf ein breites Spektrum von
Themen - von der Gedankenwelt des Thomas von Aquin über die Probleme der
Auslandsverschuldung bis hin zur Festnahme des ehemaligen chilenischen
Diktators Augusto Pinochet in London.
Castro, der als Kind katholische Schulen besucht hatte, befragte die Gruppe
ausführlich über die Reformation und insbesondere über das Leben und Denken
Martin Luthers.
Castro beschrieb Jesus als "einen grossen sozialen Revolutionär". Als Raiser
und Altmann ihm beschrieben, wie Luther die katholische Kirche seiner Zeit
herausgefordert hatte, bemerkte Castro, er habe sich oft so gefühlt, wie
Luther sich gefühlt haben musste. Der kubanische Präsident erklärte seinen
Besuchern, er bewundere, wie sich der Protestantismus ausbreite. "Mir gefällt
es, wie die Protestanten beten," sagte Castro, "es ist ein sehr direkter Weg,
um mit Gott zu sprechen."
Zu der drohenden Auslieferung Pinochets an Spanien erklärte Castro, der
Quellen zufolge die rechtlichen Folgen eines solchen möglichen
Präzedenzfalles fürchtet, die Festnahme des Diktators sei "moralisch
gerechtfertigt, rechtlich aber fragwürdig". Und er fügte hinzu: "Pinochet
sollte bestraft werden, aber in Chile."
Raiser erwiderte, was immer auch jetzt entschieden werde, "das wichtigste
politische Signal ist gesetzt - Pinochet muss zur Verantwortung gezogen
werden. Straffreiheit darf nicht toleriert werden. Ob Pinochet schliesslich
verurteilt wird oder nicht, darüber ist bereits entschieden worden."
Kuba ist die erste Etappe auf der Reise der ökumenischen Delegation in vier
Länder der Region. Als nächstes stehen Haiti und Honduras auf dem Programm.
Castro wies darauf hin, dass die Delegation dort medizinisches Personal aus
Kuba antreffen werde, das unter den Armen arbeite. Er erläuterte, dass die
Ärzteausbildung in der Regel einen Auslandsaufenthalt einschliesse. "Das
macht die angehenden Mediziner einfühlsamer für die Solidarität," fügte er
hinzu.
Raiser erwähnte Castro gegenüber, dass "Gerechtigkeit ein gemeinsames
Anliegen" für die Kirchen in der ökumenischen Bewegung sei und sie daher "mit
dem Leben und dem Kampf des kubanischen Volkes sehr viel gemeinsam haben".
An der Begegnung nahmen auch führende Persönlichkeiten aus einer Reihe von
evangelischen Kirchen in Kuba teil, und Castro befragte sie zu den
geschichtlichen und theologischen Unterschieden zwischen den einzelnen
Kirchen.
Die Gruppe informierte Castro darüber, wie die Kirchen in verschiedenen
lateinamerikanischen Ländern wie Guatemala und Kolumbien in
Friedensinitiativen zusammengearbeitet hätten.
Die Begegnung mit dem kubanischen Präsidenten kam am dritten Tag eines
viertägigen Besuchs in Kuba zustande. Vorher am selben Tag war die Delegation
mit dem römisch-katholischen Erzbischof von Havanna, Jaime Ortgea, einem
notorischen Kritiker der Regierungspolitik, zusammengetroffen.
Ortega erklärte der Gruppe, dass die direkte Diskriminierung der katholischen
Kirche zwar der Vergangenheit angehöre, ein grosser Teil des guten Gefühls,
das durch den Papstbesuch im letzten Jahr entstanden sei, inzwischen aber
wieder verschwunden wäre. "Die Regierung wusste nicht, wie sie die Hoffnung,
die der Papstbesuch hinterlassen hat, für sich einspannen konnte," meinte
Ortega.
Ortega führte weiter aus, dass die kommunistischen Führer Kubas zwar
angeordnet hätten, die Behinderung der Kirche einzustellen, "diese
Anordnungen aber mitunter von Kommunalbeamten ausgeführt werden, die in
ihrer Perspektive noch sehr eingeschränkt sind".
Die kubanische Regierung war bis 1992 offiziell atheistisch. Dann erklärte
Castros Kommunistische Partei Kuba zu einem weltlichen Staat und hob für die
Parteimitglieder den Zwang auf, sich zum Atheismus zu bekennen. Ortega sagte
der protestantischen Gruppe, der Atheismus sei nie sehr weit in das
kubanische Denken vorgedrungen: "Der Atheismus hat nie einen grossen Eindruck
auf die kubanische Bevölkerung gemacht. Wir Kubaner nehmen die Dinge meistens
nicht so ernst, und ich glaube, wie haben auch den Atheismus niemals so
richtig ernst genommen."
Die ökumenische Delegation reist am 14. Oktober nach Haiti weiter.
Kontaktadresse: Kristine Greenaway, ÖRK-Direktorin für Kommunikation,
Tel. +49 69 744 3394; Fax +49 6196 642 744 oder ÖRK-Büro für Beziehungen zu
den Medien, Tel. +41 22 791 6153
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