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Der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) hat am Mittwoch, 9. Juni, in einer im Rahmen einer Pressekonferenz im Ökumenischen Zentrum herausgegebenen Erklärung die G-8-Vorschläge zur Lösung der Schuldenkrise stark kritisiert. In der Erklärung rufen ÖRK-Generalsekretär Konrad Raiser und der ÖRK-Direktor für "Problembereiche und Themen" Sam Kobia die Regierungschefs der G-8-Staaten dazu auf, sich auf ihrer am 18. Juni in Köln, Deutschland, beginnenden Tagung um einen radikaleren Lösungsansatz zu bemühen.
"Nicht so sehr finanzielle Fragen, sondern der fehlende politische Wille steht einer dauerhaften Lösung des Schuldenproblems im Wege," heisst es in der Erklärung. Darin werden die G-8-Regierungen aufgerufen, Initiativen für einen Schuldenerlass Reformen des Finanz- und Handelssystems zur Seite zu stellen. Ausserdem sollen sie sich positiv zu der Forderung nach einer grösseren Kontrolle des transnationalen Kapitalflusses durch die Regierungen und die Zivilgesellschaft äussern.
Unter Hinweis auf die Achte ÖRK-Vollversammlung - die im Dezember 1998 in Harare, Simbabwe, stattfand - und deren Unterstützung der Zielsetzungen der Erlassjahr 2000-Koalitionen ruft die Erklärung die Regierungschefs der G-8-Staaten dazu auf, anzuerkennen, dass es dringend notwendig ist,
"a. den ärmsten Ländern die Schulden zu erlassen, um ihnen einen Neuanfang im neuen Jahrtausend zu ermöglichen;
b. den Ländern mit mittlerem Einkommen innerhalb desselben zeitlichen Rahmens die Schulden erheblich herabzusetzen;
c. zu akzeptieren, dass der Erlass der Schulden nicht so lange hinausgeschoben werden kann, bis die von den Gläubigern auferlegten Bedingungen erfüllt sind;
d. ein neues, unabhängiges und transparentes Schlichtungsverfahren für die Verhandlungen und Vereinbarungen zu einer internationalen Schuldenstreichung einzuführen;
e. Massnahmen zu treffen, die den Schuldnerländern eine Rechenschaftspflicht auferlegen, wenn die Schulden erlassen worden sind; diese Bedingungen sind von örtlichen Gemeinwesenorganisationen, einschliesslich der Kirchen, und anderen repräsentativen Organisationen der Zivilgesellschaft, festzulegen und sollen gewährleisten, dass der Erlass der Schulden zu einer gerechten Verteilung des Reichtums führt;
f. ihre Macht dafür einzusetzen, dass illegal auf Nummernkonten ins Ausland transferiertes Kapital in die Schuldnerstaaten zurückgeführt wird;
g. sich im Zusammenwirken mit der Zivilgesellschaft an einer globalen Wirtschaftsreform zu beteiligen, um die Bedingungen für eine gerechte Verteilung des Reichtums zu schaffen und neue Schuldenkrisen zu verhindern."
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"Schuldenerlass - und was dann?"
In einem öffentlichen Rund-Tisch-Gespräch nach der Pressekonferenz über die Frage "Schuldenerlass - und was dann?" stellte Susan George, beigeordnete Direktorin des Transnationalen Instituts (TNI) und Präsidentin des Observatoire de la Mondialisation, neue Probleme heraus, die über die Erlassjahr 2000-Kampagne hinausreichen.
George warnte vor jeder Erweiterung der Befugnisse der Welthandelsorganisation (WTO) und schlug eine gründliche Untersuchung der Auswirkungen vor, die die WTO bisher auf Beschäftigungslage, Konsumenten, Umwelt, Entwicklung, Menschenrechte und Demokratie gehabt hat. Mit Bezug auf den jüngsten Entscheidungsprozess im Zusammenhang mit dem internationalen Bananenhandel bezeichnete George das Streitbeilegungsverfahren der WTO als Vorstufe zur Einrichtung einer total antidemokratischen Gesetzgebung.
Eine Delegation der Interkontinentalen Karawane besucht den ÖRK
Am frühen Nachmittag begrüsste der ÖRK eine Abordnung der Internationalen Karawane, zu der über hundert Bauern aus Indien gehören, die nach Genf kamen, um vor der WTO gegen die Mechanismen der freien Marktwirtschaft zu protestieren. In seiner Begrüssungsansprache wies der ÖRK-Generalsekretär auf "die lange Tradition des ÖRK hin, mit Menschen zu zusammenzuarbeiten, die die Prioritäten für ihre Entwicklung selber setzen".
"In unserer eigenen Auseinandersetzung mit der Dynamik der Globalisierung sind wir zu dem Schluss gelangt, dass es nicht ausreicht, sich allein an die Hauptakteure zu wenden, vielmehr müssen wir uns zusätzlich um gerechte und tragfähige Alternativen bemühen," erklärte Raiser. "Dadurch, dass Sie Beziehungen zu Partnern in Europa geknüpft haben, einschliesslich zu internationalen Organisationen wie dem ÖRK, und dass Sie vor den Sitz der Körperschaften ziehen, die die Grundlagen Ihres Lebensunterhalts beeinträchtigen, haben Sie zur Entwicklung einer neuen Dynamik beigetragen," fügte er hinzu, "der Globalisierung von der Basis."
Der Ökumenische Rat der Kirchen ist eine
Gemeinschaft von inzwischen 336 Kirchen in über 100 Ländern auf allen
Kontinenten und aus praktisch allen christlichen Traditionen. Die
römisch-katholische Kirche ist keine Mitgliedskirche, arbeitet aber mit
dem ÖRK zusammen. Oberstes Leitungsorgan ist die Vollversammlung, die
ungefähr alle sieben Jahre zusammentritt. Der ÖRK wurde 1948 in Amsterdam
(Niederlande) offiziell gegründet. An der Spitze der Mitarbeiterschaft
steht Generalsekretär Konrad Raiser von der Evangelischen Kirche in
Deutschland.
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