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16. juni 1999

INMITTEN VON VERZWEIFLUNG HOFFNUNG BRINGEN - DIE ORTHODOXE KIRCHE VON ALBANIEN LEISTET HUMANITÄRE HILFE


"Als ich hörte, wir würden die Flüchtlinge aus dem Kosovo besuchen, hatte ich Angst. Ich dachte, die Kosovaren seien wilde und eher grobe Menschen. Ausserdem war uns allen klar, dass die Flüchtlinge aufgrund ihrer Erfahrungen im Kosovo kein besonders positives Bild von der orthodoxen Kirche haben. Wie würden sie auf uns orthodoxe Seminaristinnen und Seminaristen reagieren? Als wir uns aber dann mit ihnen unterhielten, ging uns sofort auf, dass wir es mit Menschen wie wir selbst zu tun hatten. Wir unterhielten uns über das, was sie im Kosovo erlebt hatten, darüber, wie sie das Leben im Lager aushielten, und über ihre konkreten Bedürfnisse. Aber auch über ganz normale Dinge, wie ihre Ausbildung, ihre Familien und ihre Kinder. Ich habe bei diesem ersten Besuch im Flüchtlingslager einige Freundschaften geschlossen, und ich bin auch schon zurückgekehrt und habe meine neuen Freundinnen besucht. Ich bin in das Lager gegangen, weil ich es als meine Pflicht als Christin ansah, Menschen in Not zu helfen. Doch als ich zurückkam, hatte ich das Gefühl, viel mehr empfangen als gegeben zu haben", fasst Marina Marini, Studentin im dritten Jahr an der Theologischen Akademie der Wiederauferstehung Christi in St. Vlash-Durres, Albanien, ihre Erfahrungen zusammen.

Die Ankunft von 450 000 Kosovo-Albanern stellte ein Land wie Albanien, das ohnehin schon mit 70 Prozent Arbeitslosigkeit, massiver Armut und fehlenden Infrastrukturen fertig werden muss, unter unvorstellbaren Druck. Dennoch haben die Albaner die Flüchtlinge in ihrem Land und in ihren Häusern aufgenommen.

Im vergangenen März, als die Flüchtlinge täglich zu Tausenden ins Land kamen, hat die Autokephale Orthodoxe Kirche von Albanien über ihr Büro für Sozial-, Entwicklungs- und Nothilfe Diaconia Agapes umgehend auf die Notlage reagiert. Diaconia Agapes wurde 1992 eingerichtet, um benachteiligten und ausgegrenzten Albanern und Albanerinnen zu helfen. Im Laufe der Jahre hat das Büro eine ganze Reihe von Hilfsprogrammen entwickelt, darunter Landwirtschaftsprogramme, Kindertagesstätten, Lehrerausbildung, Krankenstationen, Gesundheitsprogramme für Frauen auf dem Lande, nationale Jugendprogramme sowie einen Radiosender.

Angesichts der Notlage richtet Diaconia Agapes mit Unterstützung von Kirchen auf der ganzen Welt, die von Kirchen helfen gemeinsam (ACT) mobilisiert wurden, Flüchtlingslager ein und verwaltet sie und hilft albanischen Gastfamilien bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Damit wird vorbildliche interreligiöse Zusammenarbeit geleistet: Mit der Unterstützung protestantischer und orthodoxer Kirchen sowie der konkreten Hilfe polnischer Katholiken hilft diese Kirche notleidenden muslimischen Flüchtlingen. Was Diaconia Agape/ACT bisher geleistet haben, ist beeindruckend. So sind zum Beispiel über 220 Tonnen Lebensmittel sind im ganzen Land an die Flüchtlinge verteilt worden.

Die Orthodoxe Kirche von Albanien ist in den vergangenen zehn Jahren mit einem Übermass an Schwierigkeiten konfrontiert worden. Nach 50 Jahren kommunistischer Herrschaft und 23 Jahren intensiver religiöser Verfolgung musste sie ihre Leitung, ihre Einrichtungen und ihre Gebäude wiederaufbauen. Sie ist schon weit damit gekommen, doch vieles bleibt noch zu tun. Der Erzbischof von Tirana, Durres und ganz Albanien Anastasios erklärte: "Als die Flüchtlinge kamen, hätten wir sagen können: ‘Wir sind eine arme Kirche', und hätten abseits bleiben können." Stattdessen hat die Kirche in grossem Stil humanitäre Hilfe mobilisiert.

Zwar ist die Mobilisierung humanitärer Hilfe in erster Linie Sache von Diaconia Agape, doch wird die Hilfe für die Flüchtlinge von der ganzen Kirche getragen. Im ganzen Land haben sich einzelne Mitglieder der Kirche zur Hilfe aufgerufen gefühlt. Kirchliche Frauengruppen packen Pakete mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln für die in Gastfamilien lebenden Flüchtlinge. Andere Gemeindemitglieder besuchen Flüchtlinge in Krankenhäusern und versorgen Flüchtlingsfrauen mit dem Notwendigsten für ihre Neugeborenen. Die beiden Säuglingsstationen in Tirana rufen täglich bei der Kirche an und bitten um Hilfe für Neugeborene.

Einer der Dozenten von der Theologischen Akademie der Auferstehung Christi erzählte, dass seine Frau eine Flüchtlingsfrau mit einem Neugeborenen im Krankenhaus besucht und sich mit ihr angefreundet hatte. Als die junge Frau entlassen wurde, konnte sie ihren Mann ausfindig machen, und sie zogen in eines der Flüchtlingslager. Aufgrund der dortigen Lebensbedingungen wurde das Baby aber krank. "Da haben wir sie zu uns nach Hause eingeladen", erzählte er, "und sie haben zwei Monate bei uns gelebt."

Jede Woche besuchen Studierende der Theologischen Akademie und Mitglieder orthodoxer Jugendgruppen die Flüchtlinge in den Lagern und in ihren Gastfamilien und bringen ihnen Lebensmittel, Waschpulver, Spielsachen und Fussbälle. Vor allem aber bringen sie diesen Menschen, über die grosses Leid gekommen ist, Hoffnung und Liebe. Die Kirche ist entschlossen, ihnen auch in der Zeit zu helfen, wenn ein Friedensabkommen unterzeichnet ist und die Flüchtlinge nach Hause zurückkehren können.

In einem Teil der Welt, der von ethnischen Spaltungen und Konflikten geprägt ist, sind Christen Tag für Tag im Rahmen umfassender Nothilfe oder durch individuelle Akte christlicher Nächstenliebe für muslimische Flüchtlinge da. Damit wird die Kirche zum konkreten Zeugnis einer Vision, in der alle Kinder Gottes in Frieden und Eintracht leben.

Die Autorin des Beitrags, Beth Ferris, ist Mitarbeiterin im ÖRK-Team für Internationale Beziehungen.

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