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14. Mai 2001

"Die Stärke der armenischen Kirche beruht auf ihrer
wirklichen Verbindung mit den Menschen"
Vor 1700 Jahren wurde das Christentum zur Staatsreligion in Armenien

von Karin Achtelstetter


"O tiefes, unergründliches, ewiges Geheimnis. Du hast dein Himmelsreich mit dem unerreichbaren Glanz des Hochzeitsgemachs umgeben und die Engelschöre mit deinem herrlichen Ruhm."

Die Worte der Eingangsliturgie dringen aus der Kathedrale von Etschmiadsin und wehen durch den Klostergarten. Das erste Grün der Bäume wächst der Frühlingssonne entgegen.

"Deine unaussprechliche und wundersame Macht hat Adam zu deinem Bilde geschaffen und ihn mit Herrlichkeit und Güte umgeben im Garten Eden, dem Paradies."

Die aus dem 4. Jahrhundert stammende Kathedrale von Etschmiadsin wird herausgeputzt. Die kleinen, verbliebenen Baugerüste sind die letzten Zeugen der umfangreichen Renovierungsarbeiten, die während der vergangenen Jahre durchgeführt wurden. Noch einige kleinere Nachbesserungen und die Kathedrale wird rechtzeitig zu den offiziellen Feierlichkeiten zum 1700jährigen Bestehen, das die Armenische Apostolische Kirche in diesem Jahr begeht, in all ihrer Pracht erstrahlen.

"Das Leiden deines heiligen eingeborenen Sohnes hat die ganze Schöpfung erneuert und die Menschen wieder unsterblich gemacht, denn du hast ihnen ein Gewand angezogen, das unzerstörbar ist."

1700 Jahre ist es her, dass der armenische König Trdat III. das Christentum zur Staatsreligion machte. Damit ist Armenien die älteste christliche Nation.

Grigor der Erleuchter
Wie es dazukam, erzählt die Legende: Grigor Lussaworitsch - "der Erleuchter" -, ein parthischstämmiger Adeliger, der in Kappadokien als Christ erzogen worden war, weigerte sich als Bediensteter des Königs, einer heidnischen Göttin zu opfern. Trdats III. liess ihn daraufhin für 13 Jahre in ein Erdloch stecken.

Dessen nicht genug fielen 38 christliche Jungfrauen, die vor Verfolgungen unter dem römischen Kaiser Diokletian nach Armenien geflohen waren, Trdat III. zum Opfer. Eine der Jungfrauen, mit Namen Hripsime gefiel dem König "über alle Massen", so dass er sie zur Frau machen wollte. Hripsime aber wehrte sich dagegen, Gemahlin eines heidnischen Königs zu werden. Nach grausamen Foltern wurde sie gemeinsam mit den anderen Jungfrauen hingerichtet - nur die hl. Nino, die später Georgien christianisieren sollte, entkam. "Als Strafe für seine Freveltat erkrankte der König an Aussatz, Wahnsinn und der Schreckensvision, ihm selbst sei mitten im Gesicht ein Schweinerüssel gewachsen." Da erinnerte ihn seine bereits zum Christentum übergetretene Schwester Chosrowiducht an den eingekerkerten Grigor. Trdat III. begnadigte Grigor und Grigor heilte den König durch ein Bittgebet von dessen unheilbarer Krankheit. Durch das Heilungswunder bekehrte sich Trdat III., liess sich und die gesamte Herrscherfamilie taufen und erklärte im Jahr 301 das Christentum zur Staatsreligion Armeniens.

Grigor der Erleuchter wurde der erste Katholikos der armenischen Kirche. Auch die Kathedrale in Etschmiadsin geht auf Grigor den Erleuchter zurück, der sie im Jahr 303 über einen vorchristlichen Tempel erbauen hatte lassen. Jesus selbst, so erzählt die Legende, hatte den Ort bestimmt und Grigor in einer Erscheinung mitgeteilt. So erklärt sich auch der Name Etschmiadsin, der soviel bedeutet wie "Ort, wo der eingeborene Sohn zur Erde herabstieg".

Feierlichkeiten während des Jubiläumsjahres
Anlässlich des grossen Jubiläumsjahres wird die neue Kathedrale, die im Zentrum der armenischen Hauptstadt Jerewan entsteht, Grigor dem Erleuchter geweiht werden. Die Konsekration dieses grössten Sakralbaus Armeniens wird eines der Hauptereigenisse der diesjährigen Jubiläumsfeierlichkeiten sein, die zwischen dem 21. und 23. September ihren Höhepunkt erreichen.

"Das Jubiläum ist für die gesamte Christenheit von Bedeutung", betont Seine Heiligkeit Katholikos Garegin II. Nersessian, der seit 1999 das Katholikat von Etschmiadsin mit dem Heiligen Stuhl am Ursprungsort des armenischen Christentums inne hat. "Die armenische Nation war die erste Nation, die das Christentum zur Staatsreligion erhoben hat." Für Garegin II. bedeutet das nicht nur eine grosse Ehre, sondern eine besondere Verantwortung gegenüber der weltweiten Christenheit: "Wir sind dazu aufgerufen, unseren Beitrag am Beginn eines neuen Milleniums zu leisten." Als eine der vordringlichsten Aufgaben für die Kirche nennt Garegin II. die Notwendigkeit, "das Leben der Menschen nach den Geboten Gottes zu organisieren".

Herausforderungen für die Armenische Apostolische Kirche
Dieser Herausforderung stellt sich die Kirche auch im eigenen Land. Nach 70 Jahren atheistischer Staatsführung sieht sich die Armenische Apostolische Kirche vor die Aufgabe gestellt, "den Geist des Evangeliums" den Menschen nahezubringen.

In den vergangenen zehn Jahren hat die Armenische Apostolische Kirche viel geleistet. Sie hat mehr als 1000 Lehrer und Lehrerinnen in christlichen Ausbildungszentren fort- und weitergebildet und sie hat mit viel Elan die Priesterausbildung ausgebaut. Doch seine Heiligkeit Garegin II. weiss, dass zehn Jahre kirchlicher Einsatz die religiösen und spirituellen Folgen von 70 Jahren restriktiver Sowjetherrschaft nicht wettmachen können: "Wir haben nicht genügend Religionslehrer und -lehrerinnen, nicht genügend Priester und Kirchen. Es gibt noch immer Städte ohne Kirchen."

Eine ähnliche Bilanz zieht der amtierende Primat von Gjumri, Vater Michael: "Zurzeit haben wir in dieser Region vier Priester für rund 360 000 Menschen. In einer solchen Situation ist es nicht möglich, den Menschen so zu dienen, wie wir es möchten."

Gjumri im Nordwesten des Landes gelegen, ist mit rund 120 000 Einwohnern die zweitgrösste Stadt Armeniens. Fast 13 Jahre ist es her, dass die Erde im Norden Armeniens bebte. Mit einer Stärke von 6,9 auf der Richterskala hält das Erdbeben, das am 7. Dezember 1988 Nordarmenien heimsuchte den traurigen Rekord, eines der heftigsten der Neuzeit gewesen zu sein. Offizielle Angaben sprachen damals von 23 000 Todesopfern, inoffizielle Schätzungen von 50 000 bis 80 000. 500 000 Menschen wurden obdachlos und ein Viertel der gesamten armenischen Industriekapazitäten über Nacht stillgelegt.

Noch immer leben Menschen in den damals in aller Eile aufgestellten Baracken. Häuserskelette ragen in den Himmel und vor der Yot Verq-Kirche (der Kirche der sieben Wundmale) halten die beiden während des Erdbebens heruntergefallenen Kirchentürme Mahnwache.

Die Menschen tragen die Wunden der Vergangenheit in sich, neue Wunden brechen auf: Gjumri hat eine besonders hohe Arbeitslosenrate. Vater Michael ist besorgt über die Zahl von Selbstmorden, den Missbrauch von Betäubungsmitteln und Prostitution. "Es gibt keine Sphäre des menschlichen Daseins, die nicht auch die Kirche betrifft", sagt Vater Michael. "Jeder Tag ist für uns eine neue Herausforderung, und wir wissen nicht, welche Herausforderungen der morgige Tag mit sich bringen wird." Und dennoch ist Vater Michael zuversichtlich: "Dies ist längst nicht die schlimmste Zeit für die armenische Kirche. Schauen Sie doch nur in unsere Geschichte. Weder Verfolgung noch Unterdrückung haben es geschafft, das armenische Volk von seiner Kirche zu trennen. Die Stärke der armenischen Kirche beruht auf ihrer wirklichen Verbindung mit den Menschen und auf ihren demokratischen Grundlagen. ... Umgekehrt lieben die Armenier ihre Kirche, denn die armenische Nation verdankt ihr Überleben der Kirche."

So ist denn auch der Leitgedanke der 1700-Jahrfeier "das Licht der Lehre Christi strahlt in jedes Haus und in jede Familie", erklärt Seine Heiligkeit Garegin II. Im Zentrum der Hauptstadt Jerewan erstrahlt im Jubiläumsjahr allabendlich ein grosses Neonkreuz und erinnert Autofahrer und Fussgänger an ihr christliches Erbe.

"Das Jubiläum hat auch kirchlich Fernstehende wieder zur Kirche zurückgebracht", erzählt Garegin II; und so werden die Jubiläumsfeiern auch ein Ausdruck der kirchlichen Erneuerung und des Wiederaufblühens des kirchlichen Lebens nach der Sowjetzeit sein. Der Kirchturm der künftigen Kathedrale Grigors des Erleuchters, der aus der Skyline Jerewans herausragen soll, kündet davon, ebenso wie die Tatsache, dass der Höhepunkt der Jubiläumsfeierlichkeiten zwischen dem 21. und 23. September mit dem zehnten Jahrestag der Unabhängigkeit Armeniens von der Sowjetunion zusammenfällt.

Ein junges Paar bringt sein Neugeborenes zur Kathedrale in Etschmiadsin. Eine alte Frau im Kopftuch wärmt sich in der Frühlingssonne auf einer Bank im Klostergarten.

"Ich will den Herrn loben allezeit; sein Lob soll immerdar in meinem Munde sein."

Die Liturgie ist verklungen. Ein Priester eilt durch den Klostergarten, in der Hand violette Nelken.

"Unter der Haut eines jeden Armeniers stösst man auf Christentum", heisst es in einem alten armenischen Sprichwort, das uns seine Heiligkeit Garegin II. zum Abschied mit auf den Weg gegeben hat.


Das Feature entstand während einer Reportagereise nach Armenien und Nagorny-Karabach, die Stabsmitglieder der Teams für Öffentlichkeitsarbeit und Information im Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) im April unternommen haben. Es ist der erste Beitrag in einer Reihe von Featuren aus Anlass der 1700- Jahrfeier, die die Armenische Apostolische Kirche dieses Jahr begeht.

Begleitfotos zum Feature können bei Fax-Nr. (+41.22) 798.13.46 angefragt werden.

Informationen über die Jubiläumsfeierlichkeiten der Armenischen Apostolischen Kirche finden Sie auf den Websites des Katholikats von Etschmiadsin http://www.etchmiadzin.com und des Katholikats von Kilikien http://www.cathcil.org.


Weitere Informationen erhalten Sie vom Büro des ÖRK-Medienbeauftragten
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